4. Einfach ein Spaziergang

Nach dem Essen entschied er sich, an die frische Luft zu gehen. Draußen war das perfekte Wetter, strahlend heller Sonnenschein und zwitschernde Vögel. Die frische Luft tat ihm gut und bald schon waren die Erinnerungen an den Wald verdrängt.
»Charles! Du hier?«
Charles zuckte unweigerlich zusammen, als er die ihm nur allzu bekannte Stimme hörte.
»Hätte nicht gedacht, dass ich dich hier treffen würde.«
Charles drehte sich um und sah den etwas kleineren, unsportlichen Samuel auf sich zurennen. Ohne Worte wartete er auf ihn. Keuchend stützte er sich an Charles ab.
»Endlich jemand, den ich kenne, obwohl ich dich am wenigsten hier erwartet hätte.«
Charles rollte die Augen und schob Samuels Arm von sich weg.
»Hey! Ich meine, das ist doch die sicherste Stadt, oder nicht?«
Charles wand sich ab und ging weiter.
»Jetzt warte doch mal, ich meinte das doch nicht böse. Wir sind doch beste Freunde, richtig?« Mit schnellen Schritten versuchte er, mit Charles mitzuhalten.
»Ich weiß nicht, wovon du redest.« Er vermied den Augenkontakt.
»Hey hey, schließlich hab ich dir ein Date mit dieser Schnecke aus der Klasse über uns klargemacht.«
»Habe ich dich danach gefragt?«
»Nicht direkt, aber deine Blicke sagen alles.«
Charles blieb abrupt stehen und sah ihm direkt in die Augen.
»Und was sagt dir dieser Blick?«
»Das… dass du einen echt miesen Tag hast?«
»Exakt.« Charles seufzte.
»Haben sie Emilie immer noch nicht gefunden?«
»Doch, sie ist tot.« Er rieb sich am Arm.
»Hast du sie umgebracht?« Samuel suchte den Augenkontakt zu Charles.
»Was zur Hölle, Samuel?!« Seine Augen brannten vor Hass.
»Was denn? Ist doch wohl eine berechtigte Frage?« Er zuckte mit den Schultern.
»Samuel, ich warne dich!« Keiner von Beiden brach den Augenkontakt.
»Anthony wird sich nicht von selbst von der Brücke gestürzt.«
»Wie oft soll ich es dir noch sagen? Ich …«
»Oder Jason, der hat sich auch sicher selbst erschossen.« Unterbrach ihn Samuel.
»Mit Anthony hatte ich nichts zu tun und das weißt du! Und Jason war fanatisch!
Genau wie du!« Charles sah zu Boden, in seinem Inneren hörte er Anthonys
Schreie und Jasons wilde Gerede. Sie wurden immer lauter, als würden sie sich gegenseitig übertönen wollten, bis plötzlich wieder Ruhe einkehrte. Erst jetzt merkte Charles, dass er schwer atmete. Er blinzelte ein paar Mal, um sich wieder zu orientieren und atmete tief ein.
»Manchmal bist du echt seltsam.« Samuel sah ihn irritiert an.
»Ich weiß, aber bitte behalt das alles für dich.« Charles fuhr sich durch die Haare und sah weg.
»Warum denn? Irgendwann kriegt das doch eh jeder mit.«
»Bitte, ich will wenigstens versuchen, ein normales Leben zu führen…«
»Als ob du dazu in der Lage wärst.«
»Man muss es versuchen. Wenn ich scheitere, ist es so, aber ich muss es versuchen.«
»Meinetwegen ich werde versuchen, mich zurückzuhalten.«
»Danke, Samuel..«
Charles wurde hellhörig, als er zwei Stimmen hörte, die sich unterhielten und sah sich irritiert um.
»Was ist los?« Samuel blieb neben ihm stehen.
William und Geronimo kamen um die Ecke.
»Hallo, Charles.« William lächelte überglücklich und ging auf ihn zu.
Charles hörte kaum, was William sagte, es war gedämpft. Das Einzige, was er sah, war die Osirisuniform. Sein Herz begann zu rasen und er wich zurück. William blieb verwirrt stehen.
»Ist alles ok?«
Charles fuhr sich durch die Haare und zwang die Bilder vom Wald aus seinem Kopf.
»Ja, alles gut.« Er lächelte gezwungen.
William warf einen kurzen Blick auf Geronimo, der die Augen rollte.
»Ihr ähm… ihr habt mìch nur überrascht.« Charles vermied den Augenkontakt.
William wandte sich Samuel zu.
»Wir wurden uns noch nicht vorgestellt. Ich bin William und das ist mein Partner Geronimo. Es freut mich dich kennenzulernen.«
»Super, ich bin Samuel. Charles bester und einziger Freund.« Er grinste stolz.
Williams Augen strahlten vor Freude, während er mit Samuel redete.
Charles war geistig abwesend und starrte Geronimo an, der auf seinem Tablet tippte. Scheinbar sichtlich unzufrieden mit der Zeitverschwendung, die sein Partner betrieb.
»Geronimo, mein Bester!« Eine Frau von Osiris kam um die Ecke und steuerte direkt auf Geronimo zu. Charles erkannte sie sofort als die Frau aus dem Wald.
»Ah, Juliette, was machst du denn hier?« Als er aufsah, grinste sie ihn glücklich an.
Sie war echt. Sie… Seine Atmung wurde wieder schneller, doch er versuchte, es zu unterdrücken, um nicht wieder die Aufmerksamkeit von Samuel oder William auf sich zu ziehen.
»Du hast dir aber ganz schön Zeit gelassen.« Geronimo sah kurz zu ihr rüber, während er tippte. Juliette grinste amüsiert. Sanft legte sie eine Hand unter sein Kinn und hob seinen Kopf an, damit er sie anschaute.
»Hast du mich denn gar nicht vermisst?« Mit einem unschuldigen Blick sah sie ihn an.
»Also ich. Ich meine natürlich. Genau genommen.« Stammelte er überfordert vor sich her. Juliette grinste triumphierend und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. Geronimos Kopf wurde blitzschnell rot. Lächelnd ließ Juliette von ihm ab. Geronimo fuhr sich nervös durch die Haare. Erst jetzt bemerkte Juliette einen Blick, der sie zu durchbohren schien. Als sich Charles und Juliettes Blicke kreuzten, tastete Charles nach dem Messer an seinem Gürtel. Schweigend starrten sich die Beiden an, während William und Samuels Gespräch nur als Hintergrundrauschen wahrgenommen wurde. Mit einem freundlichen Lächeln ging sie auf ihn zu. Charles blieb ruhig stehen, obwohl alle seine Gedanken schrien, dass er rennen sollte. Seine linke Hand umklammerte den Messergriff. Juliette schien das nicht zu beunruhigen. Freundlich streckte sie ihm ihre Hand entgegen.
»Hallo, ich bin Juliette. Willkommen in Eden. Es freut mich dich kennenzulernen.« »Hi, ähm… ich bin Charles.« Unsicher und verwirrt, schüttelte er ihre Hand und ließ von seinem Messer ab.
»Wenn du jemals Probleme hast, kannst du dich bei mir oder Romeo melden. Wir helfen dir immer gern.« Verwirrt stoppte sie und sah sich um. »Wo bleibt der eigentlich?«
Charles wagte nicht, sich zu bewegen oder etwas zu sagen. Er fühlte sich wie ein Beutetier, das sich vor einer Raubkatze versteckte.
Juliette seufzte.
»Naja, er wird schon wieder auftauchen.«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Weißt du? Er ist so unzuverlässig. Immer verschwindet er ohne etwas zu sagen und taucht dann wieder auf, als wäre nichts gewesen. Team heißt für mich etwas anderes, aber was weiß ich schon, hab ich Recht? Aber ich werde ihm das schon noch beibringen. Da ist er.« Sie ließ von Charles ab und steuerte direkt auf Romeo zu, der sich suchend umsah.
Charles sah zu Samuel, der William seine Lebensgeschichte zu erzählen schien.
William hört geduldig und interessiert zu.
»William, wir haben noch mehr zu tun. Komm jetzt.« Geronimo mischte sich ein, ohne Augenkontakt zu suchen. William seufzte und verdrehte die Augen.
»Hier ist doch sowieso nichts los.«
Geronimo sah auf und sein Blick kreuzte Williams.
»Ich habe doch Recht oder nicht?« William hielt den Augenkontakt aufrecht.
Geronimo sagte nichts, er schien direkt in Williams Seele zu starren.
Samuels Blick wechselte zwischen den Beiden hin und her, während Charles Juliette anstarrte.
Charles ging langsam rückwärts. Sein Herz schlug so laut, dass er Angst hatte, Samuel könnte es hören. Dieser war aber sowieso beschäftigt. Keiner von ihnen beachtete ihn. Schnell ergriff er die Chance und verschwand hinter einer Hausecke. Sie war echt. Sie war hier.
Vor seinem inneren Auge sah er ihr psychopathisches Lächeln. Ein stechender Schmerz brannte durch sein Bein und seinen Rücken. Ohne das er es merkte, atmete er schneller und sein Kopf wurde heiß. Ganz dumpf hörte er, wie sein Name gerufen wurde, doch er konnte die Stimme kaum zuordnen.
»Sie wird mir nichts tun, dass war nur ein Traum.« Murmelte Charles um sich zu beruhigen.
»Ist alles ok?« fragte ihn jemand.
Charles Atem stockte und er spürte den rasenden Herzschlag in seinem Hals.
»Charles?« wiederholte die Stimme.
Er blinzelte ein zwei Mal und sah dann vorsichtig zur Seite. Samuel stand neben ihm und sah ihn besorgt an.
Charles Atmung flachte wieder ab und er sah Samuel verwirrt an.
»Was ist los?«
»Nichts, alles gut. Ich komm schon klar.« Charles fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
»So sah das aber nicht aus.«
Charles wollte etwas erwidern, aber ließ es lieber bleiben.


Währenddessen etwas weiter am Stadtrand…
William verschränkte die Arme und lehnte sich an eine Hauswand. Romeo stand neben ihm und beobachtete Geronimo und Juliette, die unter einem Baum standen. Sie redeten miteinander, aber durch die verdächtigen Seitenblicke ging William davon aus, dass er eines der Gesprächsthemen war.
»Es ist so unfair.« Grummelte er beleidigt.
»Was genau meinst du?« Er sah zu William hinunter.
»Ich meine, warum dürfen die uns herumkommandieren?«
»Wir sind eben einen Rang unter ihnen. So ist das eben.«
»Aber sie tun doch nicht mal was. Ich muss immer alles machen. Ist das bei euch nicht so?«
»Nicht wirklich. Ich hab eigentlich nie was zu tun. Juliette regelt das immer selbst.« William sah ihn ungläubig an.
»Ja, sie ist der Meinung, dass ich es nur falsch machen würde.«
»Eigentlich müssten wir mal tauschen.« William schmunzelte.
»Die werden uns doch sicher nicht lassen.«
»Ach was und fragen kostet schließlich nichts.« Er zuckte mit den Schultern.
Juliette und Geronimo setzten sich unter den Baum und tippten auf ihre Tablets.
William seufzte. »Wie lange wollen die uns noch warten lassen?«
»So wie ich Juliette kenne, könnte es eine Weile dauern.«
»Gefällt dir dieser Job eigentlich?« William sah zu Romeo auf.
»Schon, ich mein, es gibt wahrscheinlich Schlimmeres. Und dir?«
»Also ich finde die Arbeit super, nur das Arbeitsklima ist eine Katastrophe.«
»Ja, unter anderem.« Romeo rieb seinen Arm etwas unwohl.
Geronimo legte seinen Kopf auf Juliettes Schulter, während er tippte.
»Wie lang ist unsere Schicht noch?«
»4 Stunden, 48 Minuten und 26 Sekunden.«
»Dann habe ich wenigstens noch etwas Zeit, bei Jenny und Luna vorbeizuschauen.«
»Müsst ihr nicht auf Patrouille?«
»Ne, da hat uns Geronimo rausgeredet. Du weißt ja, wie ungern er die Stadt verlässt.«
»Stadtkind.«
»Du sagst es.«
Geronimo sah verwirrt zu Juliette, sie kicherte nur und stieß ihn zu Boden. Sein Tablett fiel zur Seite. Frech grinsend stürzte sie sich auf ihn und überhäufte ihn mit Küssen. Sie schob langsam sein Shirt nach oben und fuhr mit ihrer Hand über sein Sixpack.
William war überfordert und konnte seinen Blick nicht abwenden.
Romeo ging provokant durch sein Blickfeld.
»Komm, lass uns bisschen spazieren gehen. Wenn sie uns brauchen, werden sie uns finden.«
William blinzelte verwirrt und folgte ihm.
Romeo schüttelte enttäuscht den Kopf.
»Was hälst du davon, wenn wir bei deinen Bewohnern vorbeischauen? Luna und Jenny waren es oder?« Er sah zu William.
»Dürfen wir das überhaupt, als zwei niederrangige?«
»Ist doch egal, wer will uns den aufhalten? Der Bürgermeister?«
»Möglich, er kann uns schließlich rauswerfen.«
»Schon, aber wenn fliegen Juliette und Geronimo früher.«
Romeo lächelte und ging mit William die Straße hinunter.

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