Das Gefängnis

Maxis kellnert in einer alten Stadt, die größtenteils aus Sand bestand. Es war wenig los an diesem heißen Tag, eigentlich war so gut wie jeder Tag heiß. An einem einsamen Tisch unter dem hölzernen Vordach saß eine junge Frau mit ungewöhnlich dicker Kleidung, die ganz offensichtlich nicht aus dieser Gegend kam. Maxis begrüßte sie freundlich und bevor er sie nach ihrer Bestellung fragen konnte, fragte sie ihn nach einem Gefängnis, in das einige Leute aus der Stadt verschwunden waren. Er nickte unsicher und meinte, dass keiner, der versucht hätte, dort hineinzukommen, es lebend wieder herausgeschafft hätte. Sie machte eine abwertende Handgeste und meinte, sie habe schon einige gefährliche Orte besucht und wäre dort mit Leichtigkeit herausgekommen und man müsse sich keine Sorgen um sie machen. Maxis sah sie zweifelnd an. Zögernd fragte er sie, was sie denn vorhätte, wenn sie den Eingang finden würde. Sie lachte kurz und sagte, dass sie natürlich so viele freilassen würde, wie sie könnte. Scheinbar war das für sie die offensichtlichste Antwort. Lächelnd fügte sie an, ob Maxis sie nicht begleiten wollen würde. Zögernd nickte er und schlug vor, sich mittags am Marktplatz zu treffen, denn zu der Zeit wäre seine Schicht vorbei. Sie stimmte zu

Nach seiner Schicht ging er lächelnd die Straße hinunter. Den Obdachlosen, die sich im Schatten der Häuser zusammenkauerten, beachtete er nicht, auch wenn er selbst kein Zuhause besaß. Denn seine Mutter war vor Jahren weggesperrt worden, nachdem sie wegen Diebstahls an einer reichen Familie beschuldigt worden war. Seitdem lebte Maxis allein auf der Straße und kam zwischenzeitlich gerade so über die Runden. Aber jetzt bot sich die Chance, seine Mutter aus diesem schrecklichen Gefängnis zu befreien. Zusammen könnten sie sich ein neues Leben aufbauen mit dem Geld, das er angespart hatte. Es könnte sich alles ändern. Mit der Hilfe dieser Reisenden hätte er endlich eine Chance. Vor Freude hüpfte er die Straße hinunter und ließ mit seiner Magie kleine Steine die Straße entlang rollen.

Am Marktplatz wartete schon die Reisende auf ihn.
„Da bist du ja. Es ist ganz schön heiß hier.“
„Ja, die Temperaturen hier sind nichts für Leute aus dem Norden.“ Er lächelte amüsiert.
„So ist das eben im Süden. Aber kommen wir zu den wichtigen Dingen.“
„Genau, also das Gefängnis ist hier um die Ecke.“
„So nah am Marktplatz? Ich hab hier nirgends Wachen oder so etwas gesehen.“
„Es gibt nur eine und die ist unsichtbar.“
„Unsichtbar? Das ist mir neu, aber hier ist Magie sowieso mehr vertreten, wie ich gehört habe.“
Maxis nickte. „Aber dieser Wächter ist kein normaler Bewohner, es grenzt eher an einen humanoiden Wachhund.“
„Du weißt sicher, wie man mit ihm umgeht, oder?“
„Naja, wir müssen noch das Schloss aufbekommen. Das ist mir bisher noch ein Rätsel und selbst wenn wir es aufbekommen, werden mehr Wächter kommen.“
„Hmm, dann müssen wir uns eben beeilen. Das wird schon möglich sein. Dann zeig mir mal dieses Schloss.“
Maxis nickte und führte sie auf einen großen Platz mit hohen Mauern drumherum. Es war sehr leer. In der Mitte stand eine große Statue, die den Herrscher dieser Stadt zeigte. Unbeeindruckt ging Maxis darum herum. In den Schatten, entlang der Hauswand, war eine überdachte Kante, die einen angenehmen Schatten warf. Die Reisende sah sich begeistert um. Maxis tastete währenddessen die Wand ab, bis ein großer Kreis rot aufleuchtete. Hinter den Beiden fauchte etwas und im nächsten Moment schoss ein Tentakel aus dem Nichts. Maxis stolperte im letzten Moment zur Seite, riss mit seiner Magie einen Stein aus der Wand und schleuderte ihn auf den unsichtbaren Angreifer. Die Reisende wich zurück.
„Du lenkst es ab und ich seh mir das Schloss an.“ Sie versteckte sich hinter einer Säule, die das Dach trug und wartete. Maxis lief rückwärts und beobachtete die Fußspuren des Unsichtbaren im Sand.
„Komm her. Komm schon.“
Er ließ ein paar Kieselsteine gegen das Monster fliegen, um es noch mehr zu provozieren. Fauchend sprintete es auf ihn zu, doch Maxis wich geschickt aus und warf nur noch mehr Steine. Die Kreatur heulte frustriert auf und stürmte weiter auf Maxis zu. Die Reisende schrieb sich irgendwelche Zeichen auf, die um den leuchtenden Kreis standen, aber langsam verblassten. Maxis warf weiter Steine und beobachtete sie aus dem Augenwinkel.
„Was machst du da?“
„Ich entziffere den Text hier. Mach du einfach weiter.“
„Das sagst du so einfach.“
Er stolperte rückwärts gegen etwas, als er sich umsah, griff ein Tentakel aus dem Nichts nach seinem Hals. Maxis duckte sich weg und lief zum anderen Ende des Platzes. Die zwei Monster schlichen langsam auf ihn zu. Es wurde langsam schwerer, die Fußabdrücke zu erkennen, da immer mehr Staub aufgewirbelt wurde.
„Ich hab’s! Ich hab’s!“ Sie winkte aufgeregt.
Maxis wich den zwei Monstern aus und stolperte durch den Sand.
„Bring sie hier her, wir brauchen sie für die Tür.“
War sie jetzt komplett verrückt geworden?
Maxis schüttelte verständnislos den Kopf, aber widersprach nicht. Er lockte die Monster zum Schloss und wartete auf einen Angriff.
„Was jetzt?“, fragte er sie, aber es kam keine Antwort.
Ein Tentakel schoss auf Maxis zu und er drehte sich zur Seite. Der Tentakel stach durch den Kreis auf der Wand hindurch, doch sie schien keinen Schaden zu nehmen. Im Gegenteil, der Kreis leuchtete grün und mit einem lauten Knarzen fuhr die Tür auf. Dahinter war ein kurzer Gang mit nicht benutzten Fackeln links und rechts. Maxis schlängelte sich an den Monstern vorbei in die Dunkelheit. Scheinbar waren die Monster nicht an die Dunkelheit gewöhnt und folgten nur langsam, während sie genervt knurrten. Die Reisende schlich vorsichtig hinterher. Der nächste Raum war hell erleuchtet bei einem brennenden alten Kronleuchter aus rostigem Metall. An der gegenüberliegenden Wand war eine Treppe, die auf eine erhöhte Plattform führte, wo sich eine große, schwere Tür befand. Überrascht sah sich Maxis im Raum um. Die Wand entlang waren wunderschöne Malereien, die ein Paradies zeigten und glückliche Menschen, die in Flüssen badeten oder durch Wälder streiften. Doch diese kurze Unaufmerksamkeit kostete ihn schon einen Biss in die Schulter. Vor Schock erstarrte er. Maxis spürte, wie sich eine Kälte durch seine Adern schlich und sich mit dem warmen Blut vermischte, das von seiner Schulter tropfte. Das Gewicht des Monsters zwang ihn dazu, nach vorne zu stolpern und als sie von hinten vom zweiten Monster geschubst wurden, stolperte er über seine eigenen Füße und fiel zu Boden. Er hörte ein metallisches Kling und spürte, wie sich Gewicht von seinen Schultern hob.
„Konzentrier dich!“, befahl die Reisende ihm und zog ihn wieder auf die Beine.
Einer der zwei Monster lag neben ihnen reglos am Boden. Die Arme bestanden jeweils nur aus einem einzelnen Tentakel und die humanoiden Gesichter waren so entstellt, dass man sie kaum als Mensch identifizieren konnte. Sie ließ ihm aber nicht viel Zeit zum Wundern und zog ihn zur Treppe.
„Das muss das Tor sein, wir müssen es nur aufbekommen.“, murmelte sie.
Maxis konnte ihre Hand kaum spüren, sein Arm kribbelte, als würden tausend Ameisen darüber krabbeln. Mit der anderen Hand ließ er einige Steine schweben und schmiss sie auf das andere Monster, wenn es es wagen würde, sie anzugreifen. Am oberen Ende der Treppe blieben sie stehen und sie betrachtete die Knöpfe an der Wand, die mit verschiedensten leuchtenden Symbolen verziert waren. Rätselnd schrieb sie sich Dinge über die Wände auf und versuchte, die Symbole zu übersetzen. Maxis schüttelte seinen Arm in dem verzweifelten Versuch, ihn aufzuwecken. Das Monster schlich knurrend die Treppe hinauf. Maxis riss mit seiner Magie einen Stein aus der Wand und schleuderte ihn gegen das Monster, was es aus dem Gleichgewicht brachte und die Treppe hinunterstürzen ließ. Seufzend kniete er sich an die Kante und sah dabei zu, wie es sich langsam wieder aufrappelte, bis es sich wieder unsichtbar machte. Hinter sich hörte er seine Begleiterin vor sich hin murmeln. Aus dem Gang hörte er lautes Knurren und Fauchen von mehr Monstern.
„Du solltest dich lieber beeilen, da kommen noch mehr.“ Maxis richtete sich auf und riss mit seiner Kraft weitere Steine aus den Wänden, um die Monster damit zu bewerfen, wenn sie versuchten, die Treppe hinaufzukommen. Er warf immer wieder Steine auf sie, doch irgendwann fing seine Kraft an nachzulassen, aber die Monster hörten nicht auf, nachzukommen. Eines der Monster nutzte eine Atempause und stürzte sich auf Maxis, der panisch aufschrie und ins Straucheln kam. Seine Begleiterin sah erschrocken zu ihm nach hinten. Sie konnte nur noch sehen, wie Maxis zusammen mit dem Monster nach unten stürzte. Maxis ruderte verzweifelt mit den Armen, um irgendetwas zu greifen zu bekommen. Das nächste, was er spürte, war eine harte Landung auf einem weiteren Monster, die ihm die Luft aus den Lungen drückte. Sein Kopf wurde stark durchgeschüttelt. Er blieb kurz benommen liegen, doch das Fauchen der Monster riss ihn aus seinem Schock. Etwas taumelnd richtete er sich auf und entfernte sich von der Truppe. Panisch warf er Steine, sowohl mit Magie als auch ohne, um sie so weit wie möglich von sich fernzuhalten. Sie kamen immer näher und drängten ihn gegen die Wand. Er zählte drei Monster, wobei eins davon schon das Interesse an ihm verlor und nach oben schlurfte, um die Reisende zu erwischen. Maxis Herz raste, doch er konnte nirgends hin. Er versuchte, die nun sichtbaren Monster aus dem Weg zu stoßen, aber sie wickelten ihre Tentakel um seine Arme und seinen Oberkörper und drückten ihn gegen die Wand. Maxis schrie panisch und zappelte in dem verzweifelten Versuch, zu entkommen. Seine Schreie wurden nur von den Angstschreien seiner Begleiterin unterbrochen. Das Monster hatte sich auf sie gestürzt und sie zu Boden gedrückt. Maxis atmete tief ein und nutzte seine letzte Kraft, um einen Stein zum Schweben zu bringen und so stark wie möglich gegen den Kopf des Monsters fliegen zu lassen. Mit einem dumpfen Knall traf er sein Ziel und es sank zu Boden. Sie stieß es von sich und rollte es die Treppe hinunter. Die zwei Monster verbissen sich in Maxis Schultern und saugten ihm das Blut aus. Von beiden Seiten konnte er das Schlürfen hören und spüren, wie sich das kalte Gift durch seinen Körper bahnte, nun noch schneller als zuvor. Seine Beine zitterten und gaben unter dem Gewicht der Monster nach, die ihn nach unten drückten. Seine Arme und Beine wurden taub und er konnte sie kaum noch bewegen. Er spürte nur den Druck auf seinen Schultern und das warme Blut, das seinen Körper hinunterlief. Das Atmen fiel ihm immer schwerer. Seine Begleiterin rappelte sich auf, noch immer etwas zitternd von ihrem Angriff, doch sie nahm ihren Mut zusammen, rannte die Treppe hinunter, griff ihr kleines Schwert und trennte den Monstern sauber die Köpfe ab. Sie fielen reglos neben Maxis zu Boden. „Ist alles okay bei dir?“ sie kniete sich neben ihn und sah ihn besorgt an. Sein Gesicht war blass und er schien nicht zu atmen.
„Hey, du kannst jetzt nicht aufgeben, wir sind so nah dran.“ sie schlug ihm leicht ins Gesicht, um ihn aufzuwecken, doch er rührte sich keinen Millimeter. Maxis konnte seinen Körper nicht spüren, geschweige denn bewegen. Er versuchte, ihr zu antworten, doch sein Körper gehorchte ihm nicht. Verzweifelt schüttelte sie ihn. „Wach auf, bitte… Es tut mir leid, ich wollte nicht, dass es so weit kommt…“ Zitternd wartete sie auf eine Reaktion. Irgendeine Reaktion, doch Maxis bewegte sich nicht. Langsam stand sie auf und seufzte. Sie wand sich ab und machte sich wieder an die Tür. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie das Rätsel gelöst und die Tür offen. Maxis sah hilflos zu, wie sie eine größere Menge an Menschen aus dem Gefängnis brachte und nach draußen leitete. Er versuchte dazwischen seine Mutter zu finden, doch sie war nicht dabei. Erst nachdem alle den Raum verlassen hatten und Stille einkehrte, fand Maxis die Kraft, dazu seine Beine zu benutzen. Vorsichtig stützte er sich an der Wand ab, während er sich zitternd aufrichtete. Blut lief aus seinen Wunden und tropfte von ihm herab. Zitternd und schwankend schlurfte er die Treppe hinauf, die Tür war noch sperrangelweit geöffnet. Dahinter fand er aber entgegen seiner Erwartungen kein dunkles Gefängnis, in dem die Gefangenen litten. Ganz und gar nicht, es war ein Paradies, eine große Höhle mit einem riesigen Wald, durch den sich ein funkelnder Fluss bahnte. Die Bäume trugen viele verschiedene Früchte, die er nur aus fremden Ländern kannte. Lichtstrahlen bahnten sich durch Löcher in der Decke ihren Weg und erleuchteten die ganze Höhle. Unter ein paar der Menschen, die am Fluss spazieren gingen, entdeckte er seine Mutter. Ungewollt wich er zurück. Zögernd hielt er sich am Türrahmen fest. Sie sah so glücklich aus, er wollte nicht, dass sie ihn so sah. Er war doch gekommen, um sie zu retten, dabei musste sie gar nicht gerettet werden. Wenn er sie hier herausholen würde, würde er sie wieder in eine Welt der Armut zwingen. Eine Welt, in der sie mit ihm einsam auf der Straße leben muss, mit kaum Wasser. Hier schien es ihr so viel besser zu gehen, er wollte ihr diese Freude und Sicherheit nicht nehmen. Nein, wenn sie hier glücklich war, dann sollte sie auch glücklich bleiben. Er würde sie nicht belasten, indem sie sich um ihn kümmern muss. Zögerlich drückte er die Tür zu und mit zitternden Schritten ging er die Treppe hinunter. Es war so kalt hier drinnen, dass sich jeder Schritt wie eine Qual anfühlte. Was nicht einfacher wurde, da seine Beine kribbelten und ihm damit drohten, nachzugeben. Langsam tastete er sich an der Wand entlang und verließ durch den dunklen Gang das Gebäude. Draußen brannte die Sonne auf ihn nieder und raubte ihm seine letzte verbleibende Energie. Erschöpft schleppte er sich eine Straße weiter zu einer Brücke in der Stadt, die zwei Häuser miteinander verband. Darunter hatten viele Obdachlose Schutz vor der Sonne gesucht und murmelten untereinander. Manche sahen verwirrt auf, als Maxis an ihnen vorbeischlurfte, doch die meisten taten so, als würden sie ihn nicht sehen. Zitternd suchte er sich eine Lücke und setzte sich. Trotz der Hitze um ihn herum war ihm kalt. So eiskalt, als würde er gleich erfrieren müssen. Er fühlte sich so schwach, dass er kaum seine Augen offenhalten konnte. Er entschied sich dazu, sich hinzulegen und etwas zu schlafen. Danach würde es ihm sicher besser gehen. Es war kalt, so kalt.

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