2. Eden

Als Charles aufwachte, fand er sich auf einer Wiese wieder, die sich in alle Himmelsrichtungen erstreckte. Noch etwas verpeilte, streckte er sich und setzte sich auf. Es war still, nur der Wind rauschte durch das Gras. »Hallo?«, fragte er verwirrt in die Stille und richtete sich auf. »Stefano?« Verloren wanderte er durch die Wiese. »Ist jemand hier?!« Verwirrt schaute er in die schier endlose Weite der Wiese.
Auf einmal wurde die Stille von einem Lachen durchbrochen. Für einen Moment stoppte sein Herz. In der nächsten Sekunde wandte er sich um. Ein kleines Mädchen stand ein paar Meter entfernt von ihm und lächelte ihn unschuldig an. Charles stand wie versteinert da und sah sie ungläubig an. Sie grinste und rannte davon. »Fang mich, wenn du kannst!« Charles riss die Augen weit auf und versuchte panisch ihren Arm zu ergreifen, doch er war zu langsam. »Nein! Warte!« Sein Herz raste mit Adrenalin. Er rannte so schnell er konnte, doch sie war ihm immer ein paar Schritte voraus. »Bleib stehen! Bitte… Bleib stehen!« Charles klang verzweifelt, doch das Mädchen lief lachend weiter und Charles hinterher. Sie rannte so leichtfertig wie über Wolken. Charles konnte kaum mithalten und zudem ging ihm langsam die Puste aus. »Bitte… Warte!« Er atmete schwer und fing an zu stolpern. Das Mädchen blieb stehen und lachte Charles an. »Du bist immer so langsam, Bruder« Grinste sie amüsiert. Charles versuchte wieder zu Atem zu kommen, doch aus dem Nichts hörte Charles quietschende Reifen. Ohne Nachzudenken rannte er mit seiner letzten Energie auf das Mädchen zu, das bewegungslos in die Richtung des Geräusches starrte. Charles sah aus dem Augenwinkel, wie ein grelles Licht rasend schnell näher kam. Als letzter Ausweg sprang er gegen sie, um sie aus dem Weg zu stoßen. Schnell verschluckte das Licht alles um sich herum. Das Einzige, was Charles hörte, der verängstigte Schrei des Mädchens, der schnell verstummte. Das brennende Licht zwang Charles dazu, seine Augen zu schließen.
Als das Licht nachließ, öffnete er vorsichtig seine Augen. Vor seinem Gesicht sah er dass schmerzentstellte blasse Gesicht von Emily. Charles entwich ein erschrockenes Quietschen, dass aber schnell zum Schweigen gebracht wurde, als jemand ihn am Kragen packte und auf die Füße zog. Charles schnappte zappelnd nach Luft. Die Person drehte ihn um. Charles war wie versteinert. »…V..V…Vater…« stotterte Charles ängstlich, doch als Antwort bekam er nur eine Backpfeife die ihn zurück in die Realität brachte. Charles stolperte zurück und wagte es nicht etwas zu sagen. Stattdessen starrte er Löcher in den Boden, damit er seine Gedanken ordnen konnte.
»Es ist alles deine Schuld! Du bist eine einzige Enttäuschung!« Er griff Charles an seiner Jacke und rammte ihn gegen einen Baum.
»Lass mich los!!!« Charles versuchte, sich loszureißen, doch ohne Erfolg.
»Eine Enttäuschung für unsere ganze Familie!« Er packte Charles Hals und würgte ihn. Verzweifelt rammte Charles sein Knie in den Magen seines Vaters, woraufhin dieser ihn zu Boden warf. Charles hustete und schnappte nach Luft. »Lass uns das zu Ende bringen.« Langsam zog er eine Waffe und zielte auf Charles, welcher sich schnell aufrappelte. »Du musst das nicht tun.« Charles Blick war auf die Mündung der Pistole fokussiert. »Oh, ich will. Ich habe so lange darauf gewartet.« Mit diesen Worten drückte er ab. Charles war wie versteinert. Er sah die Kugel wie in Slow Motion auf sich zu rasen. Kurz bevor die Kugel seinen Kopf traf, schreckte er aus seinem Traum auf. Sein Herz schlug wie wild und er atmete schwer. Panisch versuchte er sich zu beruhigen, doch er konnte nicht aufhören zu zittern. Ohne das er es bemerkte, liefen Tränen seine Wangen hinunter. Vollkommen überfordert kauerte er sich auf seinem Bett zusammen und schluchzte leise.

Eine Weile später klopfte jemand an Charles’ Tür. Schnell rappelte er sich auf und wischte sich mit dem Ärmel seiner Jacke die Tränen vom Gesicht. Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spalt. »Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Sie können sich in einer halben Stunde in den Bus begeben.«
»Bus? Ich weiß nichts von einem Bus.«
»Den Bus nach Eden.«
»Aber ich…«
»Wir sehen Sie dann in einer halben Stunde.«
»Was? Aber…«
Verwirrt schloss Charles die Tür, als er sich wieder dem Zimmer zuwandte, sah er den Tisch, auf dem er seine Snacks abgelegt hatte. Dieser war aber leer und sauber ohne einen einzigen Krümel. Auch die Vorhänge waren nicht mehr so wie letzte Nacht. Sie waren weit aufgerissen. Ein stechender Schmerz in seinem Kopf ließ Charles zusammenzucken.
»Urgh, ich muss Stefano finden.« murmelte Charles und ging aus dem Zimmer. Der Schmerz ließ langsam wieder nach und wurde durch Schwindel ersetzt. Im Gang waren nur einzelne Personen, die aufgeregt mit einer redeten. »Besser als hier ganz allein herumzugeistern.« murmelte er und drückte den Knopf zum Fahrstuhl.
Überraschenderweise waren schon Menschen im Fahrstuhl, als dieser sich öffnete. Da er nicht wirklich eine andere Wahl hatte, stieg er ein und drückte sich gegen die Wand, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Nach ein paar tiefen Atemzügen erholte sich Charles schnell wieder. Als die Türen sich öffneten, überrollte ihn das laute Brummen der Menschenmasse, die sich durch den Gang schob. Charles wurde aus dem Fahrstuhl geschubst und stolperte in die Menge. Es war warm und stickig. Überwältigt von der Situation stolperte er mit der Strömung in Richtung Ausgang. Die Versuche nach seinem Onkel zu rufen, gingen in der Masse unter. Verloren schob er sich immer weiter an den Rand der Menge. Außerhalb konnte er endlich wieder zu Atem kommen. Hustend lehnte er sich gegen die Wand. Seine Augen wanderten durch die Menschenmasse auf der Suche nach Stefano, doch dieser war nirgends zu sehen. »Kann ich dir helfen?« Charles sah überrascht auf. Neben ihm stand ein Mann von der Sicherheit. »Ich suche meinen Onkel Stefano. Stefano Valentini.« Hoffnungsvoll wartete er auf eine Antwort, während der Mann auf seinem Tablet etwas tippte. Da kam Charles eine Idee. Er zog sein Handy aus der Jackentasche und schrieb Stefano eine Nachricht, doch sie kam nicht durch. Er hat kein Netz.
»Er ist schon im Bus. Dort solltest du auch hin.«
»Wie soll ich denn den richtigen finden in diesem Chaos?«
»Mach dir darüber keine Sorgen. Wie war dein Name nochmal?«
»Charles Valentini.«
»Folge mir.« Er lief zielstrebig in die Menge. Charles wollte etwas erwidern, doch folgte schnell, um ihn nicht zu verlieren. Es war aber nicht so leicht und so verschwom alles in der Menge und Charles stand auf einmal wieder alleine da. Verzweifelt drehte er sich im Kreis, bis auf einmal jemand seinen Arm griff und zog ihn wegzog. Unsicher und hilflos folgte er dem Sicherheitsmann wieder. Ohne Charles nur ein Wort zu würdigen, schob er Charles in den Eingang eines Busses. Verwirrt sah Charles ihm hinterher, wie er ohne sich umzudrehen wieder in der Menge verschwand. Schnell sprang Charles in den Bus und suchte nach Stefano. Fast alle Plätze waren besetzt die meisten von ihnen waren wieder eingeschlafen. Auch Stefano lehnte sich schlafen gegen ein Busfenster.
»Da bist du ja!« Überglücklich sprang er auf den Platz neben ihm. Beruhigt beobachtete er, wie sich Stefanos Brustkorb hebte und senkte. Glücklich lehnte er sich an Stefanos Schulter und schloss seine Augen.

Eine gefühlte Ewigkeit später wachte Charles neben Stefano auf, der sich beunruhigt umsah.
»Wo sind wir?«
»Hm?« Noch etwas müde sah Charles zu ihm auf und murmelte. »Wir wollten doch nach Eden, oder?«
»Aber doch noch nicht jetzt…«
»Was meinst du?« Charles rieb sich die Augen, während er sich langsam aufsetzte. Stefano antwortete nicht, stattdessen beobachtete er still, wie die Menschen anfingen den Bus zu verlassen. Charles saß angespannt neben ihm und folgte seinen Blicken. Stefano sah zu ihm herüber und räusperte sich.
»Vielleicht sollten wir uns das Ganze mal ansehen. Schließlich sind wir schon hier.«
»Ich bin mir sicher, dass es dir hier gefallen wird.« Charles lächelte nervös.
»Mal sehen, aber ich muss die hier mal was fragen.«
»Was denn?« Verwirrt sah Charles Stefano nach, der aufstand und mit schnellen Schritten den Bus verließ.
»Warte auf mich!« Er sprang auf und folgte ihm.
Draußen fanden er in einer ihm vollkommen unbekannten Stadt wieder. Die Straßen entlang reihten sich Häuser die fast gleich aussahen, obwohl jedes wenn auch nur kleine Unterschiede hat. Zwischen den Häusern und der Straße wuchsen Blumen und Bäume. Seine Augen glänzten vor Freude. Es war sehr ruhig, die Vögel zwitscherten in der Ferne und der Wind rauschte durch die Stadt. Charles nahm einen langen Atemzug der frischen Luft. Doch seine Idylle wurde von Stefano unterbrochen, der etwas weiter mit einem jungen Mann in schwarzer Uniform diskutierte. Charles fuhr sich nervös mit der Hand durch die Haare und entschied sie lieber nicht zu stören und ging stattdessen die Straße entlang. Einzelne Menschen liefen auf der Suche nach ihrem Haus an ihm vorbei. Einige von ihnen wurden von Leuten in schwarzer Uniform begleitet, die dem bei Stefano ähnelten.
》Willkommen in Eden.《 Einer der Männer in schwarz steuerte auf Charles zu, der sich verwirrt umsah, in der [Hoffnung], dass er nicht gemeint war. 》Ich meinte dich schon, Charles.《
》Woher…?《
》Ich bin William.《 Lächelnd reichte er Charles einen Bewohnerausweis für Eden.
》Danke.《
》Hättest du Interesse an einer Stadtführung?《
》Auja!《
》Dann komm.《 Lächelnd lief William voraus. 》Eines der Wohnviertel hast du schon gesehen. Später werde ich dir auch noch das Haus für dich und deinen Onkel zeigen.《Charles folgte ihm lächelnd.
》Hier in Eden kannst du dich immer an jemanden von Osiris wenden, falls du Probleme oder Fragen hast. Du kannst uns daran erkennen, das wir komplett schwarz tragen mit einem weißen Auge vorne und hinten.《
Stolz zeigte er die Rückseite seiner Jacke, auf der sich ein durchgestrichenes Auge befand, sowie auf der Mütze.
》Eden wurde erst vor zwei Jahren fertiggestellt.« Er lief mit leichten Schritten die Straße hinuter und die Beiden folgten ihm. »Eden soll die sicherste Stadt der Welt werden. Um es so zu behalten, kannst du Osiris benachrichtigen, falls dich etwas beunruhigt oder dir etwas verdächtig vorkommt. Du kannst aber auch mich direkt ansprechen.Ich werde mich um die Umgebung des Rathauses, sowie Kirche kümmern. Nun zurück zur Stadtführung. Die Straße runter kannst du schon das Rathaus sehen. Die Straße dahinter führt zur Kirche. Nach links ist eine Einkaufsstraße mit vielen verschiedenen Läden zum erkunden. Rechts findest du verschiedenste Freizeitaktivitäten, wie ein Kino, Theater, Freibad, Kletterhalle und noch vieles mehr.《 Er reichte Charles eine Karte der Stadt. »Hier sind alle Freizeitaktivitäten, sowie Läden gekennzeichnet, damit du nicht den Überblick verliert.«
》Danke, William. Ich hätte da aber noch eine Frage.《
》Klar, was gibt es den?《
》Es gibt zwar Straßen, aber ich habe noch gar keine Autos gesehen…《
》Ach ja natürlich. Das liegt daran, dass es hier auch keine Autos gibt. Wozu auch? Alles ist zu Fuß erreichbar und bis zur Erweiterung gibt es auch kaum öffentliche Verkehrsmittel. Dadurch konnten wir mehr Platz einsparen und ihn stattdessen mit mehr Natur füllen. Ist das nicht wundervoll?《
》Absolut ich liede es, nichts ist schöner als die Natur.《 Charles lächelte verträumt.
》Ist das nicht dein Onkel?《
Charles wurde aus seinen Gedanken gerissen und sah sich verwirrt um.
》Hier bist du. Hast du dir die Stadt schon ohne mich angesehen?《 Stefano und ein weiteres Mitglied von Osiris kamen auf sie zu.
》Ja, William hat mich etwas herumgeführt. Ich wollte euch nicht stören.《
》Ach so ja, genau.《 Er warf einen flüchtigen Blick auf seinen Verfolger.
》Er hier hat mich zu dir geführt, sonst hätte ich dich vermutlich nicht so schnell gefunden.《
Charles stach sofort etwas ins Auge, Geronimos weiße Augen waren nicht durchgestrichen wie die von William, doch bevor er danach fragen konnte riss William ihn aus seinen Gedanken.
》Das ist mein Teampartner Geronimo, er ist ein paar Ränge über mir.《 Geronimo schien ziemlich schlecht gelaunt zu sein, denn er tippte nur stumm auf seinem Tablet, ohne aufzusehen.
William beobachtete Geronimo, bis dieser ihm einem bösen Blick zu warf, der William zusammenzucken ließ.
》Jedenfalls könnt ihr hier mit euer Leben genau da weitermachen, wo ihr aufgehört hattet, nur das ihr in Eden sicherer seid.《 Ergänzte William schnell.
》Also muss ich wieder zur Schule.《 Seufzte Charles genervt.
》Genau…《 Mit dieser Reaktion schien William nicht gerechnet zu haben.
Stefano räusperte sich. 》Wir sollten vielleicht langsam zu unserem Haus, schließlich wissen wir jetzt schon alles was wir brauchen. Habe ich Recht, Charles?《
》Ich weiß noch nicht wo die Schule ist, was vielleicht noch gut zu wissen wäre.《
》Das ist ganz einfach, nur die Straße runter und dann wirst du sie schon sehen.《 William lächelte stolz und zeigte die Hauptstraße entlang.
》Wundervoll, Danke für eure Hilfe, aber wir müssen dann jetzt los, schließlich sollten wir uns mit unserem Haus vertraut machen. Euch noch einen schönen Tag.《 Stefano schaute von William zu Geronimo und schnell wieder zurück.
》Danke für deine Stadtführung, William. Es war schön dich kennengelernt zuhaben. Vielleicht sieht man sich bald nochmal.《
》Da bin ich mir sicher, ich werde hier sein, wenn du mich suchst. Außerdem kannst du mich über die Eden-App kontaktieren. In eurem Haus werdet ihr einen Flyer mit Download Link finden.《
》Werde ich machen. Wir sehen uns, William.《 Lächelte Charles und folgte Stefano.
》Auf Wiedersehen.《 William winkte den Beiden hinterher.
Geronimo verdreht die Augen und reicht William neue Bewohnerausweise.》Keine Zeit für Pausen, weiter geht’s.《
》Bin unterwegs.《 Fröhlich macht er sich auf den Weg nach den Nächsten.

Stefano schloss die Tür hinter ihnen, während Charles sich glücklich auf die Couch fallen ließ. Lächelnd setzte sich Stefano neben ihn.
》Also ich finde es super hier. Was meinst du?《 Charles sah Stefano erwartungsvoll an.
》Es ist nicht so schlimm wie ich erst dachte. Man könnte sich daran gewöhnen.《
》Ich glaub du wirst es hier auch schnell mögen. Aber ich wollte dich eigentlich noch was fragen.《 Er setzte sich auf.
》Klar, was denn?《
》Worüber hast du dich mir Geronimo gestritten?《
》Streiten würde ich das nicht nennen, ich wollte nur meine Kamera zurück, du weißt wie wichtig sie mir ist.《
》Schon klar und was hat er dazu gesagt?《
Stefano sah ihn etwas überrascht an. 》Ach so, ich krieg sie morgen wieder mit den anderen Sachen, die wir mitgebracht haben.《
》Dann ist ja alles gut.《 Charles lächelte und machte sich auf die Suche nach dem Flyer für die Eden-App.
》Was hälst du den von Eden bisher?《
Charles sah auf. 》Es ist perfekt.《
》Das freut mich.《 Er beobachtete Charles dabei wie er auf seinem Handy tippte. 》Ich bin drüben, falls du mich suchst.《
》Alles klar.《 Charles sah nicht von seinem Handy auf, als Stefano den Raum verließ. Hinter sich schloss er die Tür ab und seufzte. Aus seiner Manteltasche kramte er sein Handy, das schon mit einer Nachricht von Geronimo auf ihn wartete. “Vergiss unseren Deal nicht.”